Eine Fahrt mit der Grödner Bahn


 

Das Grödner Tal (Val Gardena) ist ein besonders abwechselungsreiches und schönes Seitental des Eisacktales und liegt in den westlichen Ausläufern der Südtiroler Dolomiten. Es zieht sich von Waidbruck (470m) im Eisacktal bis hinauf zu den Passübergängen Sella-Joch (2214m) und Grödnerjoch (2121m). Die Bewohner des inneren Tals gehören der ladinischen Volksgruppe an. Neben der Landwirtschaft stellte die, nachweislich seit dem 17. Jahrhundert betriebene, Holzschnitzkunst bis in das 19. Jahrhundert die Haupteinnahmequelle der Grödner Bevölkerung dar.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war das Grödner Tal nur auf schwierig zu begehenden Höhenwegen vom Eisacktal aus erreichbar. Dies erschwerte den Handel mit den Holzschnitzwaren erheblich. Erst 1856 erfolgte die Fertigstellung einer Straße, die in Waidbruck im Eisacktal von der Brennerstraße abzweigte und ins Grödental führte.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlangte ein neuer Wirtschaftszweig erhebliche Bedeutung für das Grödental - der Fremdenverkehr. Erstmals 1906 gab es Vorschläge eine Bahn in das Grödental zu bauen, da die mittlerweile 50 Jahre alte Straße nicht mehr den Anforderungen des deutlich gestiegenen Verkehrs genügte. Nach verschiedenen Vorschlägen, die Bozen oder Brixen zu Ausgangspunkten einer Bahn in das Grödental machen sollten, entschied man sich im Tal für den Bau einer meterspurigen, elektrischen Kleinbahn von Klausen im Eisacktal nach St. Ulrich, dem Hauptort des Grödner Tals. Der Bau dieser Bahn scheiterte jedoch an der Finanzierung des Projektes.

Im Sommer 1914 begann der 1. Weltkrieg durch eine Kriegserklärung Österreichs an Serbien. Hierbei hatte man Italien, das zusammen mit Österreich und dem Deutschen Reich seit 1882 im so genannten "Dreibund" zusammengeschlossen war, nicht konsultiert. Nach anfänglichem neutralen Verhalten trat Italien am 4. Mai 1915 aus dem Dreibund aus und erklärte den ehemaligen Bundesgenossen am 23. Mai 1915 den Krieg. Ziel Italiens dabei war die Aneignung österreichischer Gebiete.

Da die alte Straße von Waidbruck ins Grödner Tal nicht geeignet war, den Nachschub für die österreichischen Truppen an die Dolomitenfront sicherzustellen, beschloß die k.u.k. Heeresleitung kurzfristig den Bau der Jahre zuvor projektierten Schmalspurbahn von Klausen ins Grödner Tal. Schon im September 1915 begann der Bau dieser Strecke, allerdings als dampfbetriebene 760mm Schmalspurbahn. In einer Rekordbauzeit von nur 4 1/2 Monaten konnte die 31 km lange Strecke unter Verwendung russischer Kriegsgefangener provisorisch fertig gestellt werden. Entgegen den früheren Entwürfen hatte man die Bahn teilweise neu trassiert. Die offizielle Eröffnung der Bahn erfolgte am 6. Februar 1916. In den folgenden Monaten konnten dann die Kunstbauten der Strecke endgültig fertig gestellt werden.

Ausgangspunkt der Strecke war der Bahnhof Klausen an der schon 1867 eröffneten Brennerbahn. 

Bahnhof Klausen (Chiusa) an der Brennerbahn

Sammlung: J. Fricke

Über Lajenried, St. Peter, St. Ulrich und St. Christina führte die Strecke zum Talschluss nach Plan. Plan wurde zum Ausgangspunkt eines umfangreichen Seilbahnnetzes, das über Grödner- und Sella-Joch die Kampfstellungen in den Dolomiten versorgte.

Streckenverlauf der Grödenbahn

Zur Betriebsaufnahme standen der Bahn nur Betriebsmittel anderer österreichischer Schmalspurbahnen (Bekannt ist die Lok "Lago di Garda" (C1n2t, Krauss 1890) der Lokalbahn Mori-Arco-Riva) zur Verfügung, da die Lokomotivfabrik Krauss & Comp. A.G. (Linz) erst Ende 1916 die bestellten 7 Maschinen der Reihe "K" an die k.u.k. Heeresbahn liefern konnte. Bei diesen Maschinen handelte es sich um Naßdampf-Zwillingslokomotiven mit vier Kuppelachsen nach dem System Klien-Lindtner. Bei einer Leistung von 150 PS erreichten sie bei Bergfahrt eine Höchstgeschwindigkeit von 14 km/h und bei Talfahrt 18 km/h.

 

Dampflokomotiven der Reihe "K" für die Grödner Bahn

Bezeichnung

k.u.k. Heeresbahn

Baujahr Fabriknummer

Bezeichnung

FS

HB VIc. 4151 1916 7171 R 410.001
HB VIc. 4152 1916 7172 R 410.002
HB VIc. 4153 1916 7173 R 410.003
HB VIc. 4154 1916 7174 R 410.004
HB VIc. 4155 1916 7175 R 410.005
HB VIc. 4156 1916 7176 R 410.006
HB VIc. 4157 1916 7177 R 410.007

Angaben nach http://www.lokhersteller.de

R 410.002 und R 410.007 im 2. Weltkrieg in Bosnien verschollen

 

Denkmalslok R 410.004 neben der Bahntrasse in St. Ulrich

Foto: J. Fricke (2007)

 

Während der ersten Zeit transportierte die Bahn bis zu 250 t Material täglich nach Plan, doch schon bald änderte sich die Situation. Nachdem Österreich im Herbst 1917 in der Durchbruchschlacht bei Flitsch die Italiener weit ins Hinterland zurückgedrängt hatte, sank die Bedeutung der Bahn für den Nachschub. 

Trotz dieses militärischen Erfolges für Österreich in den Dolomiten brachen im Frühjahr und Sommer die meisten österreichischen Fronten zusammen. Der Krieg endete am 3. November 1918. Österreich hatte diesen Krieg verloren und Italien nahm Südtirol bis zur Brennergrenze in Besitz. Die Grödner Bahn mitsamt ihren Betriebsmitteln übernahm die Italienischen Staatsbahn (Ferrovie dello Stato: FS). Drei weitere Heeresbahn-Lokomotiven waren auf der Bahn verblieben. Während über das Schicksal der Dn2t HB 4053 nichts bekannt ist, sind die Cn2t der Reihe 310 um 1936 verschrottet wurden.

Bezeichnung k.u.k. Heeresbahn Hersteller Baujahr Fabr. Nr. Bezeichnung FS
HB 3051 MÁVAG 1916 3051 R 310.002
HB 3103 MÁVAG 1916 3794 R 310.003
HB 4053 MÁVAG 1916 4272  

MÁVAG: Magyar Királyi Államvasutak Gépgyára, Budapest

Durch den sich langsam wieder belebenden Dolomitentourismus stieg die Bedeutung der Bahn in den 1920er Jahren an. Diese Entwicklung endetete im 2. Weltkrieg. Die Lokomotiven R 410.002 und R 410.007 mußten an das italienische Herr abgegeben werden und kehrten von ihrem Einsatz in Bosnien nie zurück. An der Grödner Bahn selbst entstanden erhebliche Schäden beim Fahrzeugmaterial und der Strecke. 

Im Bahnhof St. Ulrich 1930

Sammlung: J. Fricke

In den 1950er Jahren litt die Bahn unter ihrem schlechten Allgemeinzustand. Die FS investierte nur noch wenig in ihren Erhalt und eine geplante Modernisierung unterblieb. Der schlechte Allgemeinzustand der Fahrzeuge und der Strecke sowie die beginnende Motorisierung in den 1950er Jahren führten zum Niedergang der Bahn. Die im Folgenden wiedergegebene Textpassage ist dem Buch "Die Dolomiten" von 1953 entnommen:

...es ist nicht jedermanns Sache, für die 42 km (?) lange Bahnstrecke von Klausen bis Plan im hintersten Gröden fast zweieinhalb Stunden auf einer wackeligen Schmalspurbahn aufzuwenden, wenn der Kraftwagen dieselbe Strecke in einer knappen halben Stunde zurücklegt.

Dampflok R410.001 mit Personenzug in Wolkenstein (1958)

Foto: A. Luft / Sammlung: J. Fricke

Schließlich erfolgte am 29. Mai 1960 die Einstellung des Bahnverkehrs auf der Grödner Bahn. Auf der Bahntrasse zwischen Klausen und St. Ulrich entstand Anfang der 1970er Jahre eine Straße, die die aufgeweiteten Tunnel der alten Grödner Bahn benutzt. In der Gemeinde St. Ulrich verwandelte man die Bahntrasse in eine Fußgängerpromenade, an der 1973 die letzte erhaltene Lokomotive der Bahn als Denkmal aufgestellt wurde. Einige bauliche Relikte der Strecke sind noch heute erhalten.

Das Kehrviadukt (8 Bögen, Länge 103m) in Klausen

Foto: J. Fricke (2004)

Wasserturm des ehemaligen Heizhauses vor dem Abriss.

Foto: J. Fricke (2004)

Marzan-Viadukt der alten Trasse (km 3,85) zwischen Klausen und St. Ulrich

Foto: J. Fricke (2010)

Brücke westlich der Einfahrt in den St. Ulrichstunnel in St. Ulrich

Foto: J. Fricke (2004)

Verschüttetes Ostportal des St. Ulrichstunnels (Länge 40,3m) hinter der Pfarrkirche in St. Ulrich

Foto: J. Fricke (2004)


 

Die im Folgenden wiedergegebene Erzählung einer Fahrt mit der Grödner Bahn stammt von Luis Trenker (1892-1990).

Über die Grödener Bahn lacht man gerne. Vernünftiger aber ist es, einzusteigen und einmal mitzufahren. Selbst wer gewohnt ist, eine Gegend nur aus dem »Mercedes« zu betrachten, wird ein Vergnügen daran haben, nicht anders als hätte er eine schöne Bergwanderung gemacht; denn diese Kleinbahn, die höchste mit Dampf betriebene Schmalspurbahn Europas, die seit vierzig Jahren mit Rattern und Pusten und wildem Pfeifen in unserem Tale getreulich ihren Dienst versieht, überwindet, obwohl schon etwas asthmatisch, einen Höhenunterschied von 1093m! Eilig darf man es dabei allerdings nicht haben. Gleichmäßig steigt sie in zahllosen Windungen, Kurven und Kehren aus dem weingesegneten Eisacktal in die märchenhafte Felsenwildnis der Dolomiten empor. Vor St. Ulrich, und mehr noch vor St. Christina, braucht das wackere Bähnchen so viele Schleifen, um den Hang zu nehmen, daß der Passagier Zeit hat, den Ort erst von unten her, dann von beiden Seiten und schließlich von oben zu betrachten. Boshafte Leute behaupten, wenn man gut bei Fuß wäre, könne man auch bei der unteren Station aussteigen, dem Zug den Weg abschneiden, schnell ein "Viertele Roten" trinken und oben wieder zusteigen. Doch das widerspräche dem gemächlichen Stil dieser Reise. Dabei vergißt man, daß diese Bahn ursprünglich bloß aus strategischen Gründen angelegt wurde. Über diese 44 km lange "k. u. k. österreichische Feldbahn", die während des ersten Weltkrieges vorwiegend von russischen Kriegsgefangenen erbaut wurde, lief der Nachschub für die Dolomitenfront, der von der Endstation in Plan auf große Materialseilbahnen umgeladen wurde.

In Klausen zweigt die Bahn von der Brennerstrecke ab und steigt mit vielen Viadukten und Tunnels aus dem Talgrunde des Eisack empor. Über den herrlichen Kastanienhainen, dem sonnenüberfluteten Rebengelände liegt schon ein Hauch des Mediterranen. Mit steilen Giebeln, engen Gassen, traulichen Winkeln und Klausen liegt das alte Städtchen wie ein Klein-Rothenburg unter uns, von der stolzen Burg Branzoll überhöht, gekrönt aber von dem großartigen Stift Säben, das, auf steilem Felsen erbaut, Sitz der Bischöfe des Landes war und lange als kirchliches Zentrum galt, wie Schloß Tirol einstmals der weltliche Mittelpunkt war. Schon den jungen Dürer hat dieser einzigartige Tiefblick entzückt. Man hat die Anhöhe festgestellt, von der aus er Stadt, Burg und Stift als Hintergrund zu seinem Stiche "Das große Glück" gezeichnet hat. Höher steigt die Bahn. Unten wird die Trostburg sichtbar. Der Schlern grüßt herüber. Die Bahn läßt uns Zeit, diesen für ganz Südtirol typischen Berg mit seinem hohen Gipfelplateau und den zwei wildgezackten Vorgipfeln eingehend zu betrachten. Wir passieren Lajen. Man zeigt uns den Vogelweider Hof, von dem nach der Ansicht vieler Forscher der größte Dichter des deutschen Mittelalters, Walther von der Vogelweide, abstammen soll. Nun wendet sich das Bähnchen scharf talein. Zum Erschrecken kühn steht unvermittelt die herrliche Pyramide des Langkofels vor uns. Nach St. Peter durchqueren wir die riesigen Bergstürze der Raschötz und erreichen bei Pontifes den Talboden von Gröden. Bald liegt, malerisch wie die Landschaft einer Weihnachtskrippe, mit Wiesen, Weiden und Lärchenwäldern der Hauptort des Tales, St. Ulrich, vor uns, ladinisch nach einem alten Bauernhofe Urtsei genannt, italienisch Ortisei. 3000 Einwohner zählt man hier, aber während der "Saison" sind es um ein Vielfaches mehr. Das Tal verengt sich. Der Zug klettert nach St. Christina hinauf, das unmittelbar unter der mächtigen Wand des Langkofels liegt. Es hat etwa halb soviel Einwohner wie St. Ulrich. Der Tschislesbach, der von der Geislergruppe kommt, wird überquert. Drüben steht die Fischburg. Nochmals grüßt der Schlern herein. Auf weiten, grünen Wiesenböden liegt Wolkenstein, und bald erreichen wir mit Plan die Endstation, in dem einzigartig schönen Talschluß gelegen, direkt unter den jähen Felsabstürzen der Sella. Drei Stunden auf der Kleinbahn - aber drei unvergeßliche Stunden voll herrlicher Eindrücke!

Aus: Trenker, Gröden im Herzen der Dolomiten, München 1957

Luis Trenker (1892 - 1990)

Trenker wurde 1892 in St. Ulrich im Grödner Tal geboren. Von 1912 bis 1914 studierte er Architektur in Wien und nahm als Offizier am ersten Weltkrieg in den Dolomiten teil. Nach Beendigung seines Architekturstudiums in Graz 1924, war Trenker bis 1927 als Architekt, Bergführer und Skilehrer in Bozen tätig. Nachdem er schon 1924 eine erste Hauptrolle in dem Film "Berg des Schicksals" übernommen hatte, übersiedelte er 1927 nach Berlin und war von da an ausschließlich als Regisseur, Schauspieler und Schriftsteller tätig. 1940 verließ er Berlin um sich endgültig in Italien niederzulassen. Trenker starb 1990 in Bozen und wurde in seinem Geburtsort bestattet. Zu seinem Lebenswerk gehören zahlreiche Filme, Romane und Sachbücher die die Berge und ihre Bewohner zum Thema haben.

Foto: Sammlung J. Fricke
 

Quellen:

Dultinger: Vergessene Vergangenheit - Schmalspurbahnen der k.u.k. Armee zur Dolomitenfront 1915-1918, Rum 1984

Fischer/Schmitt: Die Dolomiten, München 1953

http://www.lokhersteller.de

Langes: Ladinien - Land der Dolomiten, Bozen 1985

Muscolino: Die Dolomiten Schmalspurbahnen, Cortona 1988

Perathoner: Die Grödner Bahn, Bozen 1997

Schaumann: Die Bahnen zwischen Ortler und Piave 1915-1918, Wien 1971

Trenker: Gröden im Herzen der Dolomiten, München 1957


© Joachim Fricke 2004 / 2015