Elektrolokomotive E71 30 der 

ehemaligen Deutschen Reichsbahn


 

Museumslok E71 30

Foto: VM Dresden / Sammlung: J. Fricke

Nach erfolgreich verlaufenen Versuchen mit der elektrischen Traktion auf verschiedenen Versuchsstrecken beschloss die Preußische Staatseisenbahn 1906 die Fernbahn Magdeburg - Dessau - Leipzig - Halle für den elektrischen Betrieb mit Einphasen-Wechselstrom (10kV, 15Hz) einzurichten. Nachdem der preußische Landtag  im Juli 1909 die Mittel bewilligt hatte, begannen die Bauarbeiten für den ersten Abschnitt Dessau - Wolfen - Bitterfeld, der am 18. Januar 1911  in Betrieb genommen werden konnte. Für die Versorgung der Fahrleitung  war eigens ein Braunkohlekraftwerk in Muldenstein bei Bitterfeld errichtet wurden.

Schon 1909 hatte die Eisenbahn Direktion (ED) Halle elf Lokomotiven verschiedener Gattungen für den Versuchsbetrieb auf dieser Strecke in Auftrag gegeben, die die in sie gesetzten Erwartungen weitgehend erfüllen konnten.

Nachdem im Juni 1911 weitere Gelder seitens des Preußischen Landtags bewilligt wurden, konnte die Elektrifizierung der gesamten Strecke von Magdeburg bis Halle in Angriff genommen werden. Die Arbeiten begannen im folgenden Jahr und umfassten auch eine Vergrößerung des Kraftwerkes Muldenstein und den Bau der Unterwerke in Wahren, Marke und Gommern.

Die Länderbahnen Preußens, Bayerns und Badens unterzeichneten im Januar 1913 ein "Übereinkommen betreffend die Ausführung der elektrischen Zugförderung", in dem eine einheitliche Spannung von 15 kV und eine Frequenz von 16 2/3 Herz vereinbart wurde. Österreich, Norwegen, Schweden und die Schweiz (SBB u. BLS) schlossen sich wenig später diesem Abkommen an. Das mitteldeutsche Netz, welches bisher eine Spannung von 10 kV bei einer Frequenz von 15 Hz aufwies, wurde entsprechend angepasst.

Schon im Juli 1912 bestellte die KED Halle neue Elektrolokomotiven in größeren Serien. Hierzu gehörten auch 18 B´B´-Güterzuglokomotiven mit den Betriebsnummern EG 511 bis EG 528. Im nächsten Jahr wurden 9 weitere Maschinen nachbestellt (EG 529 bis EG 537).

Die Arbeiten zur Elektrifizierung mussten zu Beginn des 1. Weltkriegs im August 1914 eingestellt werden, da die Lieferfirmen nun überwiegend Rüstungsgüter produzieren mussten. So wurden vorerst auch nur drei der bestellten Güterzugloks durch die AEG (Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft) ausgeliefert. EG 511 und EG 512 konnten im Frühjahr 1914 in Betrieb genommen werden und EG 513 erst im Sommer 1915. Alle Lieferungen hatten sich verzögert,  da ihre schon fertiggestellten Drehgestelle zu den Triebgestellen EB 1, EB 2 und EB 3 umgebaut wurden, die für die seinerzeit geplante Elektrifizierung der Berliner Stadtbahn vorgesehen waren. Aufgrund der Erfahrungen mit den ersten beiden Maschinen, konnte jedoch der Aufbau der dritten Lok verbessert werden.

Aus: Wechmann, Die Fahrzeuge für den elektrischen Betrieb der Berliner Bahnen

Zeitschrift des VDI; 65 (1921); H. 07; S. 170 - 174 (Sammlung: J. Fricke)

Da der Rohstoff Kupfer für die Rüstung wichtig war, wurden sämtliche Fahrleitungen im Sommer 1915 demontiert und der elektrische Betrieb vorerst eingestellt. Die nun nicht benötigten Lokomotiven wurden nach Niedersalzbrunn (KED Breslau) in Schlesien umstationiert, wo ebenfalls ein elektrifiziertes Netz im Entstehen war. Auch hier wurde ein Teil der Anlagen demontiert um den kriegswichtigen Rohstoff Kupfer zurückzugewinnen, jedoch wurden die Elektrifizierungsarbeiten bald fortgesetzt, da die Strecke Lauban - Königszelt für den Steinkohletransport aus dem oberschlesischen Kohlerevier unverzichtbar war.

Bald nach Ende des 1. Weltkriegs wurden die Elektrifizierungsarbeiten im mitteldeutschen Netz wieder ausgenommen. Anfangs schleppend, da Reparationen und die Inflation die Wirtschaft schwächten. Zwischen 1921 und 1923 konnte die neu gegründete Deutsche Reichsbahn die geplanten Strecken vollständig elektrisch in Betrieb nehmen.

Auch die AEG lieferte zwischen 1920 und 1921 die restlichen bestellten Loks EG 514 bis EG 537 aus. Während die Maschinen EG 514 bis 516 nach Schlesien geliefert wurden, kamen die restlichen im Bereich der ED Halle zum Einsatz. 1923 wurden dann auch die schlesischen Maschinen in den Bereich der ED Halle umstationiert, die jetzt alle gebauten Maschinen beheimatete.

Eine Zeichnung der neuen Güterzuglok zierte den 75 Pfennig Schein des Bitterfelder Notgelds von 1921

Sammlung: J. Fricke

Durch einen Unfall schied im August 1926 die EG 512 aus, die somit nicht mehr in den neuen Nummernplan vom August 1926 übernommen wurde. Aus den EG 511 bis 537 wurden nun die E71 11 bis E71 37.

Da die Zuglasten und die Geschwindigkeiten im Mitteldeutschen Netz anstiegen, erfüllten die Loks der Baureihe E71 bald nicht mehr die erwarteten Anforderungen. Als 1928 neue leistungsfähigere Maschinen der Baureihe E75 angeliefert wurden, konnte die RBD Halle auf die E71 verzichten. Bis 1932 gab daraufhin die RBD Halle mehrere Maschinen an die RBD Karlsruhe ab, die sie im Bahnbetriebswerk Basel stationierte, die restlichen Lokomotiven wurden vorerst abgestellt und einige auch ausgemustert und als Ersatzteilspender weiterverwendet. Die verbliebenen Maschinen verteilten sich nun auf Bahnbetriebswerke in drei Reichsbahndirektionen (Stand: 31. Dezember 1932, in Summe: 21).

 RBD Halle

 E71 16, 18, 19, 20, 24, 34, 36

 RBD Hannover*

 E71 28, 30

 RBD Karlsruhe

 E71 11, 13, 14, 17, 22, 25, 26, 29, 31, 32, 33, 35

*Die Rbd Magdeburg war am 01.10.1931 aufgelöst worden, 

ein Teil ihrer Strecken fiel an die Rbd Hannover

Die ausgemusterten Loks wurden, mit Ausnahme der E71 24, die noch bis 1946 als fahrbare Vorheizanlage im Leipziger Hauptbahnhof genutzt wurde, zerlegt. Aufgrund Lokmangels auf der neu elektrifizierten Strecke Halle - Köthen - Magdeburg wurden die restlichen abgestellten Maschinen 1934 noch mal reaktiviert. Nach weiteren Ausmusterungen und Umstationierungen ergab sich folgender Bestand zum Jahresende 1940 (in Summe: 14).

 RBD Halle

 E71 18, 30, 34

 RBD Karlsruhe

 E71 11, 13, 14, 22, 26, 29, 31, 32, 33

 RBD Linz*

 E71 19, 28

* Nach der Annektion Österreichs erfolgte zum 18. März 1938 die Übernahme 

der Österreichischen Bundesbahnen (BBÖ) durch die Deutsche Reichsbahn

Somit standen im Dezember 1940 nur noch drei Lokomotiven im Bereich der RBD Halle im Dienst. E71 34 schied im Oktober 1941 aus, während E71 18 und die heutige Museumslok E71 30 im Jahr 1944 in das BW Schwarzach-St. Veit (RBD Linz) umstationiert wurden. Bei Kriegsende weilte die E71 30 im RAW Dessau und verblieb somit als einzige Lok dieser Reihe in Mitteldeutschland.

Im September 1946 musste die E71 30 dann als Reparationsleistung zusammen mit anderen Elektroloks, Triebwagen und den elektrischen Anlagen des mitteldeutschen Netzes an die UdSSR abgeliefert werden. Aufgrund eines Staatsvertrages vom März 1952 zwischen der DDR und der UdSSR kehrte ein Teil der abgelieferten Fahrzeuge und Anlagen im gleichen Jahr in die DDR zurück. Auch E71 30 gehörte dazu, die am 26.08.1952 in Frankfurt (Oder) eintraf. Als Einzelgänger mit veralteter Technik und geringer Leistung blieb sie bis zu ihrer Ausmusterung am 20. November 1959 im Schadlokpark der Deutschen Reichsbahn im RAW Dessau abgestellt. Nach ihrer Restaurierung wurde sie am 4. April 1962 im Verkehrsmuseum Dresden aufgestellt.

E71 30 im Verkehrsmuseum Dresden

Foto: J. Fricke (2013)

Nach teilweiser Odysee (Österreich, Schweiz) befanden sich zum 31.12.1948 folgende Maschinen im Bereich der RBD Karlsruhe (BW Basel):

 RBD Karlsruhe

 E71 13, 14, 18, 19, 22, 26, 28, 29, 32

Eingesetzt waren die Maschinen auf der Wiesentalbahn (Schopfheim-Zell) und der Wehratalbahn (Schopfheim-Bad Säckingen) in Baden-Württemberg. Die zunehmend schwieriger Ersatzteillage und der Ersatz der E71 durch andere Lokomotiven, führten dazu, dass die Maschinen bei der Deutschen Bundesbahn zwischen 1956 und 1959 ausgemustert wurden. Als letzte schied E71 28 am 4. August 1959 aus. Vorerst erhalten blieben die Loks E71 19 (DB-Schule München), E71 22 (DB-Schule Troisdorf) und E71 28 (für Verkehrsmuseum Nürnberg) sowie ein Drehgestell der E71 13 (für Verkehrsmuseum Nürnberg). Während die E71 22 im Jahr 1968 im AW Schwerte zerlegt wurde, haben die E71 19 (heute DB-Museum Koblenz) und E71 28 (seit 1987 Deutsches Technikmuseum Berlin) bis heute überlebt. Leider ist keine dieser interessanten Maschinen betriebsfähig.

E71 28 im Deutschen Technikmuseum Berlin (rechts einer der Fahrmotoren)

Foto: J. Fricke (2015)


Quellen:

Arndt / Bäzold: Museumslokomotiven und -triebwagen in der DDR, Berlin (Ost) 1986

Bäzold / Rampp / Tietze: Elektrische Lokomotiven deutscher Eisenbahnen, Düsseldorf 1993

Conrad / Kluge / Möbius: Die Eisenbahnfahrzeuge des Verkehrsmuseums Dresden Teil 1 Triebfahrzeuge, Dresden 1997

Glanert / Richter / Borbe: Die Ellok-Baureihen E01 und E711, Fürstenfeldbruck 2014

Rampp: Preußen-Report - Band 10, Fürstenfeldbruck 1997

Richter / Rampp: Der Urahn der Krokodile, aus "eisenbahn magazin" 9/2000


© Joachim Fricke 2015