An einigen historischen Eisenbahn-Museumsfahrzeugen finden sich bis heute Reste einer längst vergessenen Sicherheitsvorrichtung - der Sicherheitskupplung. In der Frühzeit der Eisenbahntechnik dienten Ketten oder eine starre Kuppelstange zur Verbindung der Fahrzeuge untereinander. Erst 1861 wurde die noch heute gebräuchliche Schraubenkupplung (damals Patentketten genannt) für Personen-, Gepäck- und Postwagen vom Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen in Deutschland vorgeschrieben. Güterzüge durften noch bis Mitte der 1880er Jahre mit Ketten gekuppelt werden. In Verbindung mit den Puffern konnten die Fahrzeuge nun straff gekuppelt werden, wodurch starkes Rucken beim Anfahren oder Bremsen vermieden wurde. Zusätzlich zu der Schraubenkupplung verwendete Notketten, die im Falle eines Risses der Schraubenkupplung eine Zugtrennung verhindern sollten, wurden 1876 durch den Verein für unbrauchbar erklärt und durch eine zentrale Sicherheitskupplung ersetzt. Eine zeitgenössische Beschreibung der Sicherheitskupplung befindet sich in dem Buch "Katechismus für den Schaffner- und Bremser-Dienst" aus dem Jahr 1920: |
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124. Es ist eine Sicherheitskuppelung zu beschreiben. Dieselbe ist in Abb. 45 bildlich dargestellt und besteht aus einem Bügel B, der in den Zughaken Z´ des benachbarten Wagens eingehängt wird, den Laschen (Doppelgelenk) h, die durch den Bolzen b in dem Auge des Zughakens gehalten werden, den Schraubenmuttern m, der Schraubenspindel S mit Rechts- und Linksgewinde und, mit der Schraubenspindel fest verbunden, dem Hebel k in o drehbar. Eine solche Kuppelung befindet sich an jedem Zughaken. Die in Abb. 45 am rechtsseitigen Wagen befindliche Kuppelung ist mit den Buchstaben h, S´ und B´ bezeichnet. Außerdem befindet sich aber noch auf dem Bolzen, der durch das Auge im Zughaken gesteckt ist, an den gabelartigen Laschen H und H´ ein besonderer Sicherheitszughaken - Scherenhaken genannt - und in dessen Auge ein Bügel g. 125. Wie werden die Kuppelungen eingehängt und bedient? Man erfasst den Bügel B der Kuppelung des einen Wagens und hängt ihn in den Zughaken Z´ des anderen Wagens ein, dreht dann den Hebel k o rechts herum und schraubt dadurch die beiden Muttern m und somit die beiden Wagen näher aneinander und zwar so weit, wie in der Frage 199 angegeben ist. Dann nimmt man den Bügel B´ des anderen Wagens und hängt ihn in die Scherenhaken des ersten Wagens lose ein, ohne dabei die Schraubenspindel anzuziehen. Wenn nun die obere fest angespannte Kuppelung reißen sollte, so tritt die untere, lose eingehängte Kuppelung als Sicherheitskuppelung in Wirksamkeit.
Letztmalig die Ausgabe 1935 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (BO) der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft enthält im § 33 Zug- und Stoßvorrichtungen den folgenden Absatz: (4) Schraubenkuppelungen müssen sich in doppelter Weise so miteinander verbinden lassen, dass die zweite Kuppelung in Wirksamkeit tritt, wenn die Hauptkuppelung bricht. Einschränkungen finden sich dann schon in den Fahrdienstvorschriften (FV) der Reichsbahn von 1933 (mit Änderungen bis 1938) im § 93 Kuppeln der Fahrzeuge: (3)
Durchgehend gebremste Reise- und Güterzüge sind einfach nur durch die
Hauptkupplung zu kuppeln. a) bei Zügen oder Zugteilen, die handgebremst beginnen, aber unterwegs durchgehend gebremst fahren können, oder die durchgehend gebremst beginnen, aber unterwegs handgebremst bis zu einem geeigneten Bahnhof weiterfahren müssen, b) bei Übergabezügen und Anschlußbedienungen, c) im Vorortgüterverkehr. Durch eine höhere Bruchgrenze der für die Schraubenkupplung verwendeten Stähle sowie der generellen Einführung der durchgehenden Druckluftbremse erübrigte sich die zusätzliche Sicherheitskupplung in den folgenden Jahren. In der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung der Reichsbahn aus dem Jahr 1943 findet sich kein Hinweis mehr darauf und das Lehrstoffheft für die Dienstanfängerschule "Bilden der Züge" aus dem Jahr 1942 enthält folgenden Satz: Bei sämtlichen Zügen sind nur die Hauptkupplungen zu verbinden. Wie durch Fotodokumente belegt, verfügen die ab 1942 an die Deutsche Reichsbahn abgelieferten Lokomotiven nur noch über die noch heute gebräuchliche einfache Schraubenkupplung.
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Quellen: DRG: Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (BO) vom 17. Juli 1928, Ausg. 1935 DR: Lehrstoffheft für die Dienstanfängerschule, Lehrfach b 4 "Bilden der Züge", Leipzig 1942 Hundert Jahre deutsche Eisenbahnen, Berlin 1938 Preuß / Preuß: Lexikon Erfinder und Erfindungen: Eisenbahn, Berlin 1986 Schubert: Katechismus für den Schaffner- und Bremser-Dienst, Berlin 1920 |
© Joachim Fricke 2004 / 2015