Die Gemeinde Seiffen im Erzgebirge wurde erstmals im Jahr 1324 in einem Lehensvertrag urkundlich erwähnt. Die damalige Bezeichnung des Ortes "Cynsifen" ist auf die Gewinnung von Zinnstein (Kassiterit) aus sogenannten Zinnseifen zurückzuführen. Seifen sind sekundäre Erzlagerstätten, die durch Verwitterung von erzhaltigen Gesteinen entstanden sind. Mit, dem Goldwaschen ähnlichen Techniken, gewann man aus diesen Seifen dann den Zinnstein als Rohstoff für die Zinn- und damit auch die Bronzeherstellung. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ging man dann im Seiffener Gebiet auch zum bergmännischen Abbau von Zinnerz über. Für ca. 2 Jahrhunderte ist ein Nebeneinander sowohl von Seifenwerken als auch von Bergwerksbetrieben belegt. Der nie sehr ergiebige Seiffener Bergbau endete schon im Jahr 1849. Noch heute zeugen zahlreiche Halden und zwei Bingen (Einbruchstrichter) im Ort, die durch Zusammenbrüche bergmännischer Hohlräume entstanden sind, von dem früheren Bergbau.
Der Beruf des Holzdrechslers trat etwa ab der Mitte des 17. Jahrhunderts neben dem des Bergmanns in Erscheinung. Hierbei handelte es sich jedoch noch nicht um Spielzeugmacher, die den Ort Seiffen in den folgenden Jahrhunderten berühmt machen sollten, sondern um Hersteller von hölzernen Gebrauchsgegenständen. Mit dem Niedergang des Zinnbergbaus ab dem 18. Jahrhundert stieg die Anzahl der Holzdrechsler stark an. Daraus ist ersichtlich, dass ökonomische Gründe die Bergleute zwangen auf eine andere berufliche Tätigkeit auszuweichen. Ein genauer Zeitpunkt für den Übergang von der Herstellung von Gebrauchsgegenständen zur Spielwarenproduktion ist nicht feststellbar. Sehr wahrscheinlich wurden schon im 17. Jahrhundert erste Holzspielzeuge für den Eigenbedarf hergestellt, jedoch erst Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgte dann die gewerbliche Produktion. Nachdem die für das Drechseln erforderlichen Drehbänke anfangs ausschließlich manuell angetrieben wurden, nutzten die Seiffener Drechsler ab etwa 1750 die Wasserkraft. Teils durch Umbau der nicht mehr benötigten Pochwerke aus dem Bergbau, aber auch als Neubau entstanden Wasserkraftdrehwerke, in die mehrere Drehbänke eingebaut wurden. Diese Arbeitsplätze wurden dann meist an die Drechsler vermietet. Mitte des 19. Jahrhunderts existierten ca. 20 Drehwerke im Tal des Seiffenbaches. Das einzige bis heute original erhaltene Wasserkraftdrehwerk in Seiffen wurde zwischen 1758 und 1760 von Johann Heinrich Frohs erbaut. Es verfügt über ein hölzernes Wasserrad mit einem Durchmesser von 5,20m, dessen Drehbewegung über ein Kammrad auf eine Transmission übertragen wird. Ursprünglich erfolgte durch diese Transmission der Antrieb von sieben Drehbänken über Riemen. Diese Arbeitsplätze wurden dann gegen einen Mietzins auch an andere Drechsler vermietet, die ihre Rohware und Werkzeuge allerdings selber stellen mussten. Wasserkraftdrehwerks mit Radstube auf dem Gelände des Erzgebirgischen Freilichtmuseums Seiffen. Foto: J. Fricke (2006) Die Wasserversorgung des Drehwerkes erfolgte durch einen kleinen Teich, der durch den sogenannten Heidengraben, einem ehemals dem Bergbau dienenden Kunstgraben aus dem 17. Jahrhundert, gespeist wurde. Gleichzeitig diente der Teich zum Wässern des Holzes, das für die anschließende Verarbeitung im nassen Zustand benötigt wurde.
Zu dem Gebäudeensemble aus Wasserkraftdrehwerk, Scheune und Stall gehörte auch eine beträchtliche Landwirtschaft mit 2,5ha Ackerland, wobei die Haltung von Kühen, Schafen und Schweinen zusätzlich zur Sicherung der Existenz der Bewohner beitrug. Im Jahr 1889 übernahm Carl Louis Preißler das Anwesen, dessen Sohn Paul Preißler das Handwerk des Reifendrehens hier noch bis 1964 weiterführte. 1971 ging das letzte erhaltene Wasserkraftdrehwerk dann in den Besitz des Erzgebirgischen Spielzeugmuseums Seiffen über, das in den folgenden Jahren weitere historische Gebäude hierher translozierte und 1973 als Außenstelle das Erzgebirgische Freilichtmuseum Seiffen eröffnete. Eine besondere Form der Drechseltechnik stellt das sogenannte Reifendrehen dar, das ausschließlich in Seiffen und den benachbarten Orten Deutscheinsiedel und Deutschneudorf praktiziert wurde und seinerzeit ein wohlgehütetes Geheimnis war. Eine erste Erwähnung dieses Handwerks findet sich in einem Bericht des Rates der Stadt Dresden aus dem Jahr 1810. Der Rohstoff für das Reifendrehen ist Holz, das weich und gut spaltbar seien muss. Mit wenigen Ausnahmen findet hier Fichtenholz Verwendung. Die Verarbeitung des Holzes erfolgt in nassem Zustand, weshalb das Holz oftmals in einem nahegelegenen Teich gelagert wird. Damit wird zudem der Schädlingsbefall des Holzes vermieden. Die nassen Holzstämme werden sodann in Abschnitte von 10 - 40 cm zersägt. Die Stärke dieser Holzscheiben bestimmt später die Höhe der zu drehenden Form. Letztendlich werden dann diese Stammabschnitte noch entrindet, also von der Baumrinde befreit.
Holzscheibenstapel und Reifendreher bei der Arbeit Fotos: J. Fricke (2006) Die so vorbereiteten Stammabschnitte werden nun mit einem Anschlaghammer fest auf das Anschlagfutter der Reifendrehbank geschlagen. Mit verschiedenen Drehstählen bearbeitet der Reifendreher jetzt den so fixierten Stammabschnitt, der in der Drehbank rotiert. Nach einer Vorbehandlung, die der Glättung des Holzes dient, erfolgt das Herausarbeiten der gewünschten Reifenform. In der Anfangszeit waren dies überwiegend Miniaturhäuser und Stadtmauern. Erst später kamen dann die komplizierteren Tierformen hinzu. Der bearbeitete Reifen wird sodann von dem restlichen Stammabschnitt abgetrennt und erneut mittels eines Aufsteckfutters in der Drehbank befestigt. Nun kann auch die Rückenpartie bearbeitet werden, die sich bisher noch am Reststammabschnitt befand. Nach der Fertigstellung wird der Reifen abgenommen und mit Hilfe eines Hammers und eines kleinen Messers in einzelne Scheiben gespalten. Hier erst zeigt sich die Kunst dieses Handwerks, da der Reifendreher während seiner Arbeit die spätere Form des Tieres noch nicht erkennen kann. Ein erhebliches Maß an Erfahrung gehört also zur Ausübung dieses Berufes. Nachträgliche Korrekturen sind hier nur unter größten Schwierigkeiten möglich. An einem Arbeitstag, der in Seiffen anfangs noch 12 bis 14 Arbeitsstunden betrug, fertigte ein Reifendreher zwischen 35 und 75 fertige Reifen. Reifenabschnitt (Elefant) Foto: J. Fricke (2006) Die so gefertigten Reifentiere stellen natürlich nur ein Halbprodukt dar, das sodann durch die Reifentier-Hersteller (Viehmacher) weiter bearbeitet werden muss. Zu diesen Tätigkeiten, die früher meist in Heimarbeit auch von Frauen und Kindern ausgeführt wurden, gehört das Beschnitzen, das An- und Einleimen von einzelnen Zubehörteilen und das Bemalen der fertigen Figuren. Durch das Beschnitzen der Tiere werden die Konturen verfeinert, die Kanten abgerundet. Vor der Bearbeitung mit dem Schnitzmesser werden die Reifenabschnitte dazu erneut in Wasser eingeweicht, um das Holz geschmeidiger zu machen. Wohn- und Arbeitsstube des Reifentierherstellers Foto: Joachim Fricke (2006) Vor dem An- und Einleimen von einzelnen Zubehörteilen müssen die Tiere nun erst getrocknet werden. Dies erfolgt auf großen, flachen Sieben, im Sommer im Freien und im Winter am Ofen. Die zu befestigenden Zubehörteile werden anschließend in die angebrachten Bohrungen geleimt. Auch diese Zubehörteile werden dabei aus gesondert gefertigten Reifen hergestellt. Zu den Zubehörteilen gehören beispielsweise Ohren, Schwänze, Hörner und Geweihe. Die anschließende Bemalung erfolgt erst mit einer weißen Grundfarbe. Diese verschließt die Poren des Holzes und sorgt für eine bessere Haftung der folgenden Bemalung. Nach dem Trocknen der Tiere erfolgt die entsprechende Bemalung mit den einzelnen Farben. Zum Abschluss erhält das Tier noch einen Überzug aus einem farblosen Lack. Von Anfang an wurden hierbei ausschließlich giftfreie Farben benutzt, da es sich bei den fertigen Tieren ja um Kinderspielzeuge handelt. Fertiges Holztier Foto: J. Fricke (2006) Die Kunst des Reifendrehens und der Herstellung von Reifentieren, Gebäuden u.a. lebt in Seiffen bis heute fort, wenn auch die Antriebstechnik der Drehbänke längst auf Elektromotoren umgestellt wurde. Einzig das Wasserkraftdrehwerk im Seiffener Freilichtmuseum zeigt heute noch die original Antriebstechnik des 18. Jahrhunderts. |
Quellen: Auerbach: Erzgebirgisches Freilichtmuseum Seiffen - Kleiner Museumsführer, Seiffen 2005 Bilz: Erzgebirgisches Spielzeugmuseum Kurort Seiffen - Museumsführer - Schriftenreihe Heft 1, Seiffen 1990 Bilz: Erzgebirgisches Spielzeugmuseum Kurort Seiffen - Das Reifendreherhandwerk im Spielwarengebiet Seiffen - Schriftenreihe Heft 3, Seiffen 1989 Bilz: Erzgebirgisches Spielzeugmuseum Kurort Seiffen - Seiffener Reifentiere - Herstellung, Gestaltung und Bedeutung - Schriftenreihe Heft 4, Seiffen 1987 Wurlitzer: Historische Werkstätten, Berlin (Ost) 1989 |
© Joachim Fricke 2006 / 2016