"Die Erinnerung an das kindliche Erlebnis ließ den Schluß zu, daß er beim allerersten Anblick jener Tür ein eigenartiges Gefühl verspürte, eine Anziehungskraft, ein Verlangen, zur Tür zu gehen, sie zu öffnen und einzutreten. Und gleichzeitig war er fest davon überzeugt, daß es entweder unklug oder nicht recht von ihm war, - er wußte nicht, welches von beiden - dieser Anziehungskraft nachzugehen." Aus: H. G. Wells, Die Tür in der Mauer |
Eine solch geheimnisvolle Tür befindet sich in Goslar am Nonnenweg gegenüber der Frankenberger Kirche. Was sich dahinter verbirgt, zeigt ein im Archiv des technikmuseum-online aufbewahrter Lageplan vom 17. März 1945. Es handelt sich um den Eingang zu einem, im 2. Weltkrieg geplanten, Luftschutzstollen. Lageplan des Luftschutzstollen Nonnenweg gezeichnet am 17.03.1945 Sammlung: J. Fricke Da ein Teil des Luftschutzstollens in diesem Lageplan gestrichelt dargestellt ist und dieser Plan ja erst kurz vor Kriegsende erstellt wurde, ist anzunehmen, daß der Stollen nicht mehr fertiggestellt werden konnte. Am westlichen Ende des Luftschutzstollens finden sich noch heute die Reste des zweiten Zugangs. Diese liegen im Bereich eines öffentlichen Spielplatzes und sind verschlossen. Zugemauerter westlicher Eingang Foto: J. Fricke (2007) Nachdem die deutsche Luftwaffe im August 1940 erste Großangriffe auf Ziele in England geflogen hatte, kam es noch im gleichen Monat zu Vergeltungsschlägen der Royal Air Force (RAF) auf deutsche Städte. Als Reaktion darauf ordnete Adolf Hitler am 10. Oktober 1940 per "Führererlaß" ein sofortiges Bauprogramm für zivile Luftschutzanlagen an. Entgegen dem ursprünglich geäußerten Ziel dieses "Sofortprogramms" - dem Schutz der Zivilbevölkerung - wurden in der Folge in erster Linie größere Städte mit wichtigen Rüstungs- und Militäranlagen in das Bauprogramm aufgenommen. So finden sich noch heute, nur wenige Kilometer von Goslar entfernt, eine Reihe von Luftschutzbunkern im Bereich der Stadt Salzgitter (früher Watenstedt-Salzgitter), die ein wichtiger Industriestandort (Stahlwerk - Reichswerke Hermann Göring) war. Daraus ließ sich folgern, daß es bei diesem Bauprogramm in erster Linie um den Schutz von Arbeitskräften für die Rüstungsindustrie ging.
Der Bau der Luftschutzanlagen erfolgte in mehreren "Wellen". In der 1. Welle entstanden 400000 Schutzplätze im Zeitraum von November 1940 bis zum Jahresende 1941. Die 2. Welle begann im Sommer 1941. Bis zum Mai 1943 waren fast 3000 Bunker fertiggestellt. Durch den zunehmenden Materialmangel im Verlauf des Krieges wurde ab Sommer 1943 der Bau von Luftschutzstollen forciert. Im Verhältnis zur erforderlichen Baustoffmenge konnte so eine relativ große Anzahl von Schutzplätzen erzielt werden. Prinzipiell unterschied man sogenannte Hangstollen und Tiefstollen. Während Hangstollen waagerecht in einen vorhandenen Hang getrieben wurden, erforderte der Bau von Tiefstollen in flachen Gebieten das vorherige Abteufen von Schächten für die Treppenhäuser. Beispiel für einen Tiefstollen ist der Hume-Splitterschutzstollen im ehemaligen Ausbesserungswerk Braunschweig (jetzt Lokpark Braunschweig). Er besteht aus Betonsegmenten und wurde von der Firma Humerohr GmbH, Kirchhain ursprünglich für den Abwasserkanalbau entwickelt. Im Hintergrund ist eine Luftfilteranlage zu sehen. Foto: J. Fricke (2010) Aufgrund des geringeren Aufwands wurde soweit möglich den Hangstollen der Vorzug gegeben. Auch der Goslarer Luftschutzstollen am Nonnenweg gehört zum Typus des Hangstollens. Je nach den geologischen Beschaffenheiten sollten die Luftschutzstollen eine Überdeckung von 6 bis 15m aufweisen. Wie dem Lageplan des Goslarer Stollens zu entnehmen ist, weist er in der Mitte eine Überdeckung von 8,60m auf. Als Mindestbreite wurden 1,65m bei einer Bankreihe bzw. 2,30m bei zwei Bankreihen vorgeschrieben. Zusätzliche Räume für Toiletten und Maschinenräume waren vorzusehen. Jeder Luftschutzstollen sollte über mindestens 2 Zugänge verfügen, die zum Schutz vor Splittern möglichst mit rechtwinkligen Knicken zu versehen waren. Ebenso waren gassichere Türen vorgesehen. Ab 1944 erfolgte der Bau von Luftschutzstollen nach vereinfachten Richtlinien. Viele der zuvor genannten Einrichtungen fielen nun weg und auch der Goslarer Plan sieht weder zusätzliche Räume noch geknickte Zugänge vor, so daß man - wie ja schon erwähnt - von einem späten Baubeginn dieses Stollens ausgehen kann. Ein weiterer Lufschutzstollen befindet sich an der Rammelsberger Straße in Goslar. Dieser soll zwischen 1943 und 1944 angelegt wurden sein. Neben dem abgebildeten Zugang verfügte der Stollen über einen Schacht als zweiten Ausgang. Hier war ein stählernes Gerüst aufgestellt, welches zur Luftraumbeobachtung diente. Der Stollen wurde 1979 mit Beton verfüllt. Durch den Druck beim Aushärten ist die Tür aufgesprungen. Foto: J. Fricke (2008) |
Quelle: Eichhorn: Stollen des Rammelsberges, Goslar 2007 Foedrowitz: Bunkerwelten - Luftschutzanlagen in Norddeutschland, Berlin 1998 |
© Joachim Fricke 2007 / 2015