Ein S-Bahnzug (ET 165 403) nach Rangsdorf steht abfahrbereit auf Gleis 1 des Bahnhofs Bernau (b Berlin). Der Zugbegleiter klopft an die Scheibe des Führerstandes, da der Fahrgastwechsel erfolgt ist. Dies ist für den Triebwagenfahrer das Signal zum Türen schließen. Anschließend steigt der Zugbegleiter in die erste Tür der S-Bahn ein. (Aufnahme von 1942) Foto: RVM Ittenbach, Sammlung Eisenbahnstiftung Joachim Schmidt Im Jahr 1936 erschien im Verlag Otto Elsner, Berlin das Buch "Wir Eisenbahner", welches 55 Schilderungen deutscher Eisenbahner enthielt. Das Vorwort zu diesem Buch schrieb der damalige Reichsbahndirektor Wilhelm Kleinmann (1876-1945). Hervorgegangen war das Buch aus einem 1935 durchgeführten Preisausschreiben, bei dem rund 1500 Beiträge von Eisenbahnern eingegangen waren. Die 55 prämierten Beiträge wurden in diesem Buch veröffentlicht. Kleinmann, der seit 1931 der NSDAP angehörte, war der Verbindungsmann der NSDAP zur seinerzeit privaten Deutschen Reichsbahn Gesellschaft. Hier konnte er die Forderungen der faschistischen Machthaber umsetzen ohne die Rechtsform der Reichsbahn zu verändern. Zu seinen Aufgaben zählte die Entlassung von Juden und Sozialdemokraten aus den Diensten der Deutschen Reichsbahn und deren Ersatz durch "zuverlässige" Nationalsozialisten. Seit 1933 gehörte Kleinmann der SA an und bekleidete seit diesem Jahr den Posten des stellvertretenden Generaldirektors der Reichsbahn. Anfang der 1940er Jahre geriet Kleinmann bei Goebbels und Hitler in Ungnade. Sie warfen ihm vor, unzureichende Leistungen bei kriegswichtigen Transporten zu erbringen. 1942 wurde er entlassen und durch Albert Ganzenmüller ersetzt. Danach war er dann noch als Generaldirektor der MITROPA tätig. 1945 geriet er in die Fänge der Roten Armee. Sein genauer Todestag ist nicht bekannt. Der Verlag Otto Elsner wurde 1871 durch den Setzer und Drucker Otto Elsner in Berlin gegründet. Neben vielen Zeitschriften aus dem Bereich Gewerbe und Industrie erschienen auch Fachbücher über Betrieb und Bau von Eisenbahnanlagen (Elsners Taschenbücher). 1936 veröffentlichte er dann das oben erwähnte Buch. Ein Band "Der Soldat im neuen Reich" wird im Klappentext erwähnt. Der im Folgenden wiedergegeben Beitrag eines Schaffners der Berliner S-Bahn enthält einige faschistische Formulierungen. Diese wurden aus historischen Gründen unzensiert übernommen und sind rot gekennzeichnet. Leider verwendet heute wieder eine Partei, die im Bundestag vertreten ist, ähnliche Begriffe und Formulierungen. Informationen zu den rot markierten nationalsozialistischen Textabschnitten
Auf der Berliner S-Bahn.
Mein Dienst beginnt, wie die Eisenbahner sagen, auf der Achse und endet auf der Achse. Als Aushilfstriebwagenschaffner befahre ich mit meinem Triebwagenführer täglich die Stadt-, Ring- und Vorortstrecken der Berliner S-Bahn. Der Sonntag ist der erste Tag in der Woche und mit meinem Sonntag möchte ich beginnen. Um 3 Uhr schrillt der Wecker. Heraus aus dem Bett, Morgen-, nicht Nachtwäsche und hinein in die Sonntagsuniform. Ein letzter Blick auf die schlafende Familie und hinaus in den jungen Morgen, der der schlafenden Stadt Berlin die ersten Sonnenstrahlen zum herrlichen Julisonntag sendet. Zum Bahnhof W, wo 4,05 Uhr der erste Zug erreicht werden muß, um pünktlich - lieber 10 Minuten zu früh als 5 Minuten zu spät - zum Dienstantritt da zu sein. 5,15 Uhr Dienstantritt, 5,10 Uhr. Ankunftsbahnhof. Auf dem Bahnsteig steht schon mein Kamerad. "Heil Hitler" und schon sind wir wieder eins, eine Mannschaft. In 5 Minuten erreichen wir unseren Heimatbahnhof, in dem unser Zug - von den Betriebsarbeitern im Nachtdienst aufs peinlichste gesäubert und geputzt - schon auf uns wartet. Nach der Meldung beim Diensthabenden übernehmen wir den Zug, nachdem wir uns überzeugt haben, daß alle Apparate und Bremsen in Ordnung sind. Nach der Bremsprobe wird dem Führer „Bremsen in Ordnung. Sonst nichts Besonderes gemeldet“ und die Abfahrtzeit zum Vorziehen des Zuges zum Bahnsteig ist heran. Die Gleissperre ist aufgehoben, das Signal zum Vorziehen leuchtet auf und schon geht es auf Fahrt. Wir halten vor dem Ausfahrsignal des Bahnhofs T. Wir werden einen heißen Tag bekommen, meint der Führer und knöpft die Uniform auf, denn die Sonne ist schon ziemlich hoch und wärmt bereits ganz gut. Das Ausfahrsignal wird gezogen, die Zeit ist schon wieder heran, und nun gibt der Aufsichtsbeamte des Bahnhofs das Zeichen zur Abfahrt. Ich stehe auf dem Bahnsteig und gebe das Zeichen zum Türen schließen. Die Türen sind zu, der Bahnsteig leer und auf mein Abfahrsignal fahren wir los. Drei Stunden - ununterbrochen mit ständig wachenden Augen auf den ausfahrenden Zug, auf Signale und Strecke - bringen wir die zwischen 6 und 8 Uhr nun reichlich erscheinenden Sonntagsausflügler sicher, schnell und pünktlich zum Ziel wo sie ihren Sonntag verleben wollen. Nach drei Stunden gibt es Ablösung und eine Frühstückspause von 30 Minuten. Die Frühstückspause ist rasch vorbei und schon wird wieder abgelöst. Wieder fahren wir durch den hochsommerlichen Sonntagvormittag. Die Schienen flimmern in der Sonnenglut des Mittags. Die Hitze, die unbarmherzig durch die Wände und Scheiben des Zuges dringt, peinigt uns sehr. Wir wünschten, daß auch wir wie die Fahrgäste an unseren Endbahnhöfen den Zug verlassen und uns ebenfalls einige Stunden erholen könnten. Nach Dienstschluss wäre es ganz schön, aber heute haben wir gerade Doppeldienst und müssen am Abend noch einmal in den Nachtdienst. Also darum, nicht an etwas denken, was wir heute nicht erreichen können. Und so geht es vielen Eisenbahnern, den gerade an Sonntagen ist der stärkste Verkehr und alle müssen doppelt so auf dem Posten sein. Aber wir sind es ja seit Jahren gewöhnt. Der Vormittagsverkehr ist jetzt, nachdem wir die meisten Ausflügler hinausgebracht haben, ohne Zwischenfälle beendet. Wir haben bisher 200 Kilometer zurückgelegt und freuen uns nach 8 Stunden Dienst auf unser Mittagessen. Auf unserer Endstation bekommen wir Ablösung und der erste Teil unserer sonntäglichen Arbeit ist getan. Nach dem Mittagessen geht es wieder ins Bett, um Vorrat für die Nacht zu schlafen und abends, wenn die Rückkehr der Ausflügler einsetzt, wieder frisch zu sein. Um 22:00 Uhr lösen wir den Nachmittagsdienst wieder ab. Auf den Bahnhöfen herrscht Massenandrang. Mit unserem Leerzug fahren wir in den Bahnhof ein. Durch das Getöse des einfahrenden Zuges hört man die Freudenrufe über den Leerzug. Nach dem Halten. Werden sofort sämtliche Wagen erstürmt und alles drängelt sich nach einem Sitzplatz. Am Dienstabteil haben etwa 20 Radfahrer mit ihren Stahlrossen Aufstellung genommen, um diese im Triebwagen zu verfrachten. Die Räder müssen in kürzester Zeit verstaut sein. Es ist auch höchste Zeit, denn die planmäßige Abfahrtszeit ist schon wieder heran und der Zug zum Brechen gefüllt. Immer noch strömen Fahrgäste auf den Bahnsteig. Der Aufsichtsbeamte ruft den noch Ankommenden warnend „Zurückbleiben“ zu, und schon leuchtet die grüne Lampe des Befehlsstabes auf. Unter dauernden Warnrufen auch des Bahnhofspersonals gebe ich den Befehl zum Türenschließen. Langsam fährt der Zug an. Die Türen haben sich alle geschlossen. Der Zug verlässt in schneller Fahrt den Bahnhof und schon geht es dem nächsten entgegen. Die Strecke liegt im Dunkel der Nacht; die Signale leuchten uns auf 800 bis 1000 m entgegen. Wenn jeder Zug glatt und pünktlich fährt, geht alles gut. Aber wehe dem, der sich durch zu langsames Abfertigen oder Fahren verspätet, den Verkehr aufhält und so die wartenden Reisenden noch durch Ausfall von Zügen verärgert. Eine Verspätung kann vorkommen; sie kann aber durch Einsicht aller, z. B. durch schnelles Aus- und Einsteigen, Beachtung der Richtungsschilder und Abfahrtszeiten usw. leicht verhütet werden. Auch wir vorn im Führerstand sind dafür verantwortlich, daß alle auf ihrem Heimatbahnhof pünktlich aussteigen oder den Anschluß erreichen können. Und darum möchte ich allen, die uns unwissentlich den Dienst erschweren, auch Folgendes erzählen: Wir halten auf dem nächsten Bahnhof. Es steigen nur wenige Reisende aus. Umso mehr Reisende wollen zusteigen. In meinem Dienstabteil befinden sich etwa 20 Fahrräder. Es sind nur noch 4 Sitzplätze frei. Ein Kriegsbeschädigter steigt mit seiner Familie zu mir ins Abteil. Sofort steigen aus dem Nebenabteil einige Fahrgäste, die bisher gestanden haben, aus und wollen ins Dienstabteil. Das geht natürlich nicht, weil alles besetzt ist. Schon beginnt Zank und Streit. Obwohl die Reisenden im Unrecht sind, schimpfen sie auf den Schaffner. Ich nehme es hin, weil ich weiß, wie es ist, wenn man ermüdet ist und stehen muß. Aber damit nicht genug. Beim Ausfahren des Zuges wird auch noch die Tür aufgerissen und das Geschimpfe geht weiter. Das Öffnen der Tür gefährdet das Leben der Mitreisenden, denn leicht passiert es, daß im stark besetzten Zug durch plötzliches Schaukeln der Wagen Reisende durch die geöffnete Tür aus dem Zug stürzen und vom Gegenzug überfahren werden. Da das Öffnen der Tür während der Fahrt unter Strafe verboten ist, muß in diesen Fällen energisch durchgegriffen werden. Auf dem nächsten Bahnhof wird der betreffende Fahrgast festgestellt und dadurch gehen kostbare Minuten für den Betrieb verloren. Also eine Störung, verursacht durch unrichtiges Verhalten von Reisenden, die im Berliner S-Bahnverkehr recht peinlich empfunden wird und viel Scherereien verursacht. Also bitte ich jeden Leser daran zu denken, daß unrichtiges Verhalten unseren nicht leichten Dienst erschwert. Bei Beachtung der wichtigsten Verkehrsregeln, die in jedem S-Bahnwagen aushängen, sind derartige Vorkommnisse ausgeschlossen. Während der Fahrt werden noch schriftliche Arbeiten wie Fahrberichte, Kilometernachweisungen usw. erledigt. Und so fahren wir von Bahnhof zu Bahnhof, um alle Ausflügler wieder heimzubringen. Gegen 2 Uhr bringen wir die letzten „Nachtfalter“ nach Hause, fahren mit unserem Zug in unseren Heimatbahnhof und haben dann 3 Stunden Pause. Während der Zug nun von den Betriebsarbeitern wieder gesäubert und auf Schäden untersucht wird, müssen wir uns mit den neuesten Befehlen und Bestimmungen über etwaige Baustellen oder Langsamfahrstellen vertraut machen. Gegen 3,30 Uhr wird der erste Zug wieder für den neuen Tag vorbereitet und ab 4,05 Uhr fahren wir schon die ersten Frühaufsteher zur Arbeit. Bis gegen 7 Uhr wird nun gefahren, und manch einer, den wir gestern aus dem grünen Wald nach Hause fuhren, ist erstaunt, daß wir schon wieder da sind. Und so haben wir, wenn unsere Ablösung kommt, auch genug gefahren und gehen nun müde nach Hause, um bis zum Nachmittag auszuruhen. So endet dann der erste Tag der Woche. Tag für Tag, ob Sommer oder Winter, ob früh oder spät, Tag oder Nacht, geht es so - immer auf der Achse, wie jeder Volksgenosse seinen Beruf liebt und gerne ausübt, so tun wir Eisenbahner es auch. Wir alle arbeiten für eins: Für Führer, Volk und Vaterland.
Informationen zu den rot markierten nationalsozialistischen Textabschnitten
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Quellen: Wir Eisenbahner, Berlin 1936 |
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